Mercedes W123, Baujahre 1983 und 1985Ein Auto, das Freunde schafft
Der Mercedes W123 ist ein beliebter Klassiker unter den deutschen Altwagen. Wer diese Limousine fährt, erntet nicht nur Anerkennung, sondern bemerkt bald, wie sein Leben sich verändert. SPIEGEL-ONLINE-Leser Jürgen Piesche und Nicolaus H. können ein Lied davon singen.
- X.com
- Messenger
- Messenger
Das Durchschnittsalter der rund 46 Millionen Pkw in Deutschland liegt bei knapp acht Jahren. So alt war der Fahrzeugpark hierzulande noch nie. SPIEGEL ONLINE testet mithilfe der Leser, wo die Stärken und Schwächen des Altmetalls liegen. Diesmal berichten Jürgen Piesche aus Darmstadt und Nicolaus H. aus Berlin über ihre Mercedes W123 aus den Baujahren 1985 und 1983.
Jürgen Piesche:
Als ich mich vor gut fünf Jahren dafür entschied, einn Mercedes W123 T-Modell zu kaufen - und zwar nicht als kommenden Klassiker zum Wegstellen, sondern für jeden Tag zum Fahren -, gab es im Wesentlichen nur zwei Reaktionen der Mitmenschen. Einerseits steckten regelmäßig Kärtchen einschlägiger Auto-Exporteure am Fahrzeug oder ich wurde auf offener Straße oder an der Ampel aus dem Nachbarfahrzeug heraus mit der Frage "Du wolle verkaufen?" beschallt. Andererseits pendelte die Resonanz der restlichen Mitwelt zwischen Unverständnis und Mitleid.
Zugegeben, der damals 16 Jahre alte Wagen befand sich schon in etwas abgewetztem Zustand. Sechs Vorbesitzer, ein Leben als Handwerkerkombi und sechs Erdumrundungen auf dem Kilometerzähler waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Dass ich einen nicht mal halb so alten Audi mit kaum mehr als 100.000 Kilometern auf dem Tacho dafür hergegeben hatte, konnte niemand verstehen.
Jetzt, fünf Jahre und reichlich Restaurierungsaufwand später, ist das anders. Keine Kärtchen mehr, keine mitleidigen Blicke, sondern an die Scheibe klopfende ältere Herren mit dem üblichen Kommentar-Repertoire: "So einen hatte ich auch mal!", "Das war noch Qualität!" oder "Dagegen können Sie doch die neuen Autos alle vergessen." Wildfremde Menschen strecken mir beim Entgegenkommen den hochgereckten Daumen entgegen, und bei der Mercedes-Niederlassung bekomme ich schon mal zehn Prozent Rechnungsrabatt auf Teile und Arbeit. Begründung: Liebhaberfahrzeug.
Je weniger Exemplare des W123 herumfahren, desto mehr Leute scheinen einen haben zu wollen. Zum Glück gibt es noch genug, man muss nur mit ungeahnten Nebenwirkungen rechnen, wenn man sich darauf einlässt: Quasi wie ein Naturgesetz vollziehen sich ein paar Veränderungen des Lebens.
Veränderung 1: Ein W123 vermittelt eine fahrerische Gelassenheit, die alle Hektik der Autobahndrängelei außen vor lässt. Nachdem man hinter dem großzügig dimensionierten Lenkrad Platz genommen und die tresorartig verarbeitete Tür geschlossen hat, stellt sich sofort ein "Zuhause-Gefühl" ein. Ist die Fuhre in Fahrt gekommen (etwas schwerfällig, da mit 109 PS für heutige Begriffe zurückhaltend motorisiert), werden beim Fahrer bald Erinnerungen wach: an einen sogar beim geradeaus Fahren unmotiviert am Lenkrad drehenden Cary Grant in Hitchco*ck-Filmen. Denn die relativ gefühllose Servolenkung mit stets etwas Spiel um die Mittellage macht Geschwindigkeiten jenseits der 140 km/h nicht zum Vergnügen.
Zudem haben die für heutige Begriffe viel zu weichen Sitze mit ihrem Sprungfederunterbau mit Rosshaarauflage den Sitzcharakter von Omas Esszimmersofa. Am besten also, man lehnt sich entspannt zurück, bettet den linken Arm auf die Türverkleidung und den rechten auf die Mittelarmlehne zur Ruhe und belässt es bei der Autobahnrichtgeschwindigkeit. Ade, du nervöse Welt da draußen!
Szenenapplaus der Passanten
Veränderung 2: Der W123 vermittelt ein Raumgefühl, das dem Fahrer fortan jedes moderne Fahrzeug verdirbt. Man kann vom Fahrersitz aus jede Fahrzeugecke sehen, was beim Einparken zu Szenenapplaus der Passanten führen kann. Die Windschutzscheibe steht trutzig steil und weit entfernt vor dem Gesicht. Die breiten Sitze, die niedrige Gürtellinie und der zurückhaltend dimensionierte Getriebetunnel zwingen den Körper nicht in die bewegungsarme Starrhaltung eines Formel-1-Piloten oder Panzerspähwagenführers, wie so manch moderner Wagen. Im Vergleich dazu fühle ich mich in jedem Neuwagen eingezwängt und äußerst unwohl.
Veränderung 3: Früher oder später gerät man mit einem W123 in Kontakt mit dem unendlichen Netzwerk der deutschen Alt-Mercedes-Szene. Hat man sich erstmal darin verfangen, ändert sich der Freundeskreis. Nach drei Jahren kannte ich kaum noch Leute, die keinen W123 fahren. Es ist schon erstaunlich, wie sehr die Wahl des gleichen Fahrzeugs auf eine gemeinsame "Wellenlänge" der Besitzer auch weit über das Thema Auto hinaus schließen lässt. Da entstehen Freundschaften fürs Leben.
Das passiert Neuwagenfahrern nie. Darum will ich auch keinen, sondern gehe davon aus, dass der Wagen mit mir alt wird. Die Verarbeitungsqualität für viele Lebensjahrzehnte hat er jedenfalls, und der Hersteller leistet seinen Beitrag dazu mit einer exzellenten Ersatzteilversorgung.
Daten: 2 Liter Vergaser mit 109 PS. Schadstoffarm Euro-2. Verbrauch rund 10,5 Liter Superbenzin. Höchstgeschwindigkeit 170 km/h. Laufleistung aktuell 300.000 km.Weitere Informationen auf meiner Homepage zum Mercedes W123.
Schatz aus der Garage
Nicolaus H.:
Mein Mercedes Benz 230 CE (W123 Coupé) aus dem Baujahr 1983 mit seinen 132 PS ist heute bereits ein Design-Klassier. Er überzeugt nach wie vor durch einen verhältnismäßig moderaten Verbrauch (zehn Liter auf 100 Kilometer) und einen hohen Sicherheitsstandard für Wagen dieser Zeit (Servolenkung, ABS, Gurtstraffer, hohe Verwindungssteife). Die leicht erhöhten Wartungskosten werden durch den geringen Wertverlust mehr als ausgeglichen: Gute W123er Coupés sind für 4000 bis 7000 Euro am Markt zu finden und verlieren nicht mehr an Wert. Weiterer Pluspunkt: Keine Elektronik, die schlappmachen kann.
Diese Verlässlichkeit wird auch durch die Statistik bestätigt. Laut Kraftfahrtbundesamt ist die W123er Baureihe nach dem VW-Käfer unter den über 20-jährigen Fahrzeugen am häufigsten im Straßenverkehr vertreten.
Ich habe den Wagen im Jahr 2002 nach zweijähriger Suche aus einer Rentnergarage gezogen, damals mit knapp 90.000 Kilometern auf dem Tacho. Scheckheftgepflegt, rostfrei, eine absolute Seltenheit. Bis ich an ihn gekommen bin, habe ich über 20 verschiedene Wagen angeschaut. Meine Erlebnisse reichten von einem 240 D, dessen weggerosteter Kotflügel komplett aus Karosseriespachtelmasse nachgebildet war und beim Antippen nachgab, über wüste Bedrohungen von Autohändlern bis hin zu absoluten Schätzen in portugiesischen Tiefgaragen. So lernt man die Welt und vor allen Dingen Verkäufersprüche kennen.
Mittlerweile grüßen sich die Fahrer der W123-er Reihe gegenseitig. Es existieren diverse Clubs und auch ein "clubfreies" Monats- und Jahrestreffen im hessischen Büdingen. Als Fahrer erlebt man mit diesem Auto unzählige Geschichten, etwa eine kostenlose Reparatur in einer Basler Mercedes-Werkstatt aus purer Begeisterung über den Pflegezustand, Grenzpolizisten an der Schweizer Grenze, die den Wagen rauswinken, um Benzingespräche zu führen, Spontansolidarisierungen an Tankstellen ("Hatten wir auch mal!") oder spontane Kaufangebote mit Bargeld durch amerikanische Touristen im belgischen Seebad Knokke.